Internationale Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit
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Sprachumschaltung

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07. Unterricht in der Familiensprache: Lohnt es sich?

Zu Effekten und Einstellungen der Beteiligten

Verfasst von David Mathieu, B.A.

Diskutierter Beitrag:
Brehmer, B. & Mehlhorn, G. (2018). Unterricht in den Herkunftssprachen Russisch und Polnisch – Einstellungen und Effekte. In G. Mehlhorn & B. Brehmer (Eds.), Potenziale von Herkunftssprachen. Sprachliche und außersprachliche Faktoren. Forum Sprachlehrforschung, Bd. 14 (pp. 259-292). Tübingen: Stauffenburg.

Im Rahmen dieser Beitragsreihe („Mehrsprachig leben und lernen“) wurde ausgehend von den besprochenen Studien und Fachartikeln mehrmals dafür argumentiert, dass eine (umfassendere) Berücksichtigung von Familiensprachen im Bildungswesen lohnens-wert scheint (zuletzt etwa in Beitrag 05.). Aber wie stehen eigentlich die unmittelbar an einem entsprechenden Unterricht Beteiligten bzw. Interessierten – mehrsprachige Familien und Lehrkräfte – dazu? Und wie wirkungsvoll ist ein solcher Unterricht tatsächlich? Diesen beiden Fragen widmet sich eine Studie von Bernhard Brehmer und Grit Mehlhorn (2018), die im Folgenden vorgestellt und kommentiert wird.

Brehmer und Mehlhorn untersuchten die Einstellungen zum herkunftssprachlichen Unterricht (HSU) bzw. zum Erstpsrachenunterricht (ESU), der in verschiedenen Formen, jedoch meist als Zusatzangebot neben dem "normalen" einsprachigen Schulalltag angeboten wird. In Berlin, Hamburg und Leipzig führten sie mit insgesamt 49 Jugendlichen mit u.a. der Familiensprache Russisch oder Polnisch und ihren Eltern sowie mit 15 HSU/ESU-Lehrkräften Interviews und setzten zusätzlich Fragebögen ein. Um die Effekte des HSU/ESU einschätzen zu können, wurden außerdem die sprachlichen Fähigkeiten der Jugendlichen in verschiedenen Bereichen der Familiensprache mithilfe von Sprachtests gemessen. In den Interviews berichteten die meisten der befragten Eltern und Kinder, dass sie den HSU/ESU positiv sehen. Konkret teilten sie unter anderem mit, dass sie bei ihren Kindern (bzw. die Kinder bei sich selbst) sprachliche Fortschritte beobachten konnten. Auch aus der Sicht der Lehrkräfte ist der HSU/ESU sinnvoll und geht über die Sprachvermittlung hinaus, die Eltern zu Hause in der Familiensprache leisten können. Als negative Aspekte wurden von Eltern und Jugendlichen vor allem Zeitaufwand und Mehrbelastung beklagt, weil der HSU/ESU außerhalb der allgemeinen Schulzeiten erfolgt, sowie Unterforderung bzw. mangelnde Qualität, vor allem aber nicht direkt im Kontext des HSU/ESU, sondern wenn die Jugendlichen am Fremdsprachenunterricht für ihre Familiensprache teilnehmen, den auch die einsprachigen Schüler:innen im Rahmen des Standard-Curriculums besuchen.

Die Auswertung der Tests in den Herkunftssprachen zeigte, dass die Jugendlichen mit HSU/ESU vor allem beim Schreiben in der Familiensprache besser abschnitten als diejenigen, die keinen HSU/ESU besuchten. Erstere produzierten längere Texte und machten weniger Rechtschreibfehler. Auch der Wortschatztest fiel bei denjenigen mit HSU/ESU besser aus. Keine nennenswerten Unterschiede ergaben sich dagegen bei den Fähigkeiten des Lese- und Hörverstehens.

Was bedeuten diese Ergebnisse nun für mehrsprachige Familien und für das Bildungswesen? Alle unmittelbar am HSU/ESU beteiligten bzw. interessierten Gruppen aus der Studie – Eltern, Kinder und Lehrkräfte – sind sich darüber einig, dass der HSU/ESU sinnvoll und bereichernd ist. Die angesprochenen negativen Aspekte – insbesondere die Zusatz-belastung – scheinen sich vor allem dadurch zu ergeben, dass die Familiensprachen bzw. der HSU/ESU eben noch nicht ausreichend an Schulen verankert ist, sondern meist als zusätzliches Angebot oder Projekt unter enormem Zeitaufwand der herkunftssprachlichen Familien verfolgt werden muss. Eine feste Verankerung des HSU/ESU in den Curricula scheint insofern umso sinnvoller, als die Ergebnisse der Studie von Brehmer und Mehlhorn (2018) die Effektivität des Unterrichts nahelegen, besonders in Bezug auf die schriftsprachlichen Fähigkeiten: die Fähigkeiten also, welche den Eltern und Jugendlichen in der Studie im Hinblick auf den HSU/ESU besonders am Herzen lagen.

Was meinen Sie?
Zum Abschluss sind Sie gefragt: An alle mehrsprachige Eltern und Jugendlichen: Besuchst du/Besucht Ihr Kind eine Form von HSU/ESU? Warum bzw. warum nicht? Und an alle Lehrkräfte einer Form von HSU/ESU: Welche Vorteile und Herausforderungen sehen Sie im HSU/ESU? Wie könnte/sollte man einen idealen HSU/ESU aus Ihrer Sicht an Schulen umsetzen?

Diskutieren Sie mit unter dem entsprechenden Post auf Instagram: ifm_muenchen

Zum Weiterlesen

[Zu Effekten des HSUs auf herkunftssprachliche Fertigkeiten]
Caprez-Krompàk, E. (2010): Entwicklung der Erst- und Zweitsprache im interkulturellen Kontext. Eine empirische Untersuchung über den Einfluss des Unterrichts in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) auf die Sprachentwicklung. Münster, New York: Waxmann.